Was ist Stress? Viele verwenden den Begriff nur negativ und fühlen sich als Opfer von Stressfaktoren wie Überforderung, Termin- und Leistungsdruck, Mobbing, Beziehungskonflikten, Sorgen, chronischen Schmerzen usw.
Aber Stress kann auch beflügeln statt krank machen. Es kommt ganz darauf an, wie wir Stressreize aufnehmen. Stress entsteht überhaupt erst durch unsere Bewertung von Reizen und deren weitere Verarbeitung.
Akuter Stress: Sein Kennzeichen ist ein blitzschnelle Tempo. Akuter Stress erhöht binnen Sekunden oder weniger Minuten den Blutdruck, die Muskelspannung und weitere Körperfunktionen, die Energie verfügbar machen, damit wir auf eine Gefahr prompt reagieren können. Akuter Stress aktiviert den Sympathikus und hormonell die Ausschüttung von Adrenalin (im Körper) und Noradrenalin (im Gehirn).
Chronischer Stress: Wesentlich anders verhält es sich bei chronischem Stress, der sich Zeit lässt, von Minuten bis zu Stunden. Dabei läuft die Energieregulation über die HPA-Achse. Das ist ein komplexer Regelkreis zwischen dem Hypothalamus, der Hypophyse (beide im Gehirn) und der Nebennierenrinde. Hormonell übernimmt das Stresshormon Cortisol das Zepter.
Eustress: Stress ist immer eine körperliche und seelische Belastung, kann aber mit angenehmen Gefühlen verbunden sein. Häufig genannte Beispiele sind das Verliebtsein oder die Vorfreude auf die Hochzeit oder einen neuen Job. Abgesehen von diesen Clichés, kann man jeden Stress, der uns im Alltag beschwingt oder beglückt, als guten Stress (Eustress) bezeichnen.
Disstress: Was wir gemeinhin als Stress bezeichnen, lautet fachsprachlich «Disstress» (manchmal auch «Dysstress» geschrieben und ausgesprochen). Disstress kann sich über mehrere Mechanismen negativ auf unsere Gesundheit auswirken (siehe Box).
Kein Stress ist auch keine Lösung. Ein ganz stressarmes Leben kann uns unproduktiv, bequem, müde und teilnahmslos werden lassen. Auf der anderen Seite erschöpft negativer Stress unsere Energiereserven. Die ständige Überforderung kann zu Blockaden, Burnout, Ängsten und Panik führen, also uns wiederum unproduktiv machen.
Das Ziel im Umgang mit Stress liegt darin, die individuelle, positive Eustress-Zone zu finden: zwischen der Unterforderung durch keinen Stress einerseits und der Überforderung durch zu viel negativen Stress andererseits.
Eustress macht uns produktiv und ist mit angenehmen Gefühlen verbunden. Bei positivem Stress sind wir aufmerksamer, können logischer denken und behalten unseren Fokus.
Stress als ein System der hormonellen und nervlichen Reaktion auf Reize und deren Verarbeitung unterliegt biologischen Rhythmen. Diese regulieren zum Beispiel die Ausschüttung von Cortisol im Tagesverlauf: morgens viel, abends wenig, gemäss einem circadianen Rhythmus (24 Stunden).
Zusätzlich gibt es ultradiane Rhythmen, mit deutlich kürzeren Periodenlängen als 24 Stunden. So weiss man, dass die Leistungsfähigkeit im Tagesverlauf wellenförmig zu- und abnimmt. Dabei wechseln sich 70- bis 90-minütige Phasen hoher Leistungsfähigkeit mit kürzeren Phasen geringerer Leistungsfähigkeit ab.
Die moderne Forschung bestätigt damit die altbewährte Tageseinteilung, die vormittags eine Znüni- und nachmittags eine Zvieri-Pause vorsieht. Es hilft bei der Stressbewältigung, diese ultradiane Leistungsrhythmik zu berücksichtigen und immer wieder eine Pause einzulegen. Wer das eigene Muster kennt, kann Aufgaben oder Begegnungen, die einem Stress verursachen, gezielt in Phasen erhöhter Energie und Aufmerksamkeit legen.
Unter den praktischen Übungen zur Stressbewältigung stehen solche zur Atemregulation ganz zuoberst. Sie helfen verblüffend schnell, das Stresslevel zu senken. Wir nennen nur drei Übungen, zu denen Sie auf YouTube und anderen Webseiten viele gute Anleitungen finden:
Zyklisches physiologisches Seufzen: Diese Atemübung (englisch: Cyclic Sighing) ist eine der effektivsten gegen Ängstlichkeit und Stress:
Kohärente Atmung: Diese Atemtechnik (englisch: Coherent Breathing) verlangsamt die Atmung auf sechs Atemzüge pro Minute.
Bienenatmung (Brahmari Pranayama): Bei dieser Atmung in langsamem Rhythmus erzeugt man beim Ausatmen einen summenden Ton, ähnlich einer Biene oder Hummel. Die Frequenzen wirken beruhigend, ausserdem reinigen die Vibrationen verstopfte Nasennebenhöhlen.
Stress ist eine Reaktion auf Reize. So prompt man auf einen Reiz auch reagieren mag, es ist doch immer eine Lücke zwischen Reiz und Reaktion. Sich dieser Lücke in innerer Beobachtung zuzuwenden, bedeutet schon, den Automatismus von Stressreiz und Stressreaktion aufzubrechen.
Wesentlich ist dabei eine neutrale Beobachtungsposition. Man enthält sich jeder Wertung und jeden Urteils. Dadurch befreit man sich von emotionalen Reaktionsmustern und dem vermeintlichen Zwang, mit Stress reagieren zu müssen.
Beim Mindful Walking handelt es sich um ein bewusstes Gehen, bei dem man seine volle Aufmerksamkeit auf das Gehen selbst richtet, statt über irgendetwas nachzudenken oder zu grübeln. Man kann die Aufmerksamkeit nacheinander den Fusssohlen, der Atmung oder den sinnlichen Wahrnehmungen zuwenden.
Da es beim Mindful Walking nicht um die Fortbewegung geht, kann man auch stehen bleiben und die Übung darauf reduzieren, das Körpergewicht abwechselnd von links nach rechts zu verlagern.
Eine weitere einfache Übung gegen Stress sind Affirmationen, die Selbstakzeptanz und Selbstliebe fördern sollen. Man zieht sich dazu in ein stilles Kämmerlein zurück und spricht wiederholt Sätze wie:
Möge ich glücklich sein.
Möge ich mich sicher und geborgen fühlen.
Möge ich gesund sein.
Möge ich unbeschwert leben.
Das sind nach gewissen Quellen die vier klassischen Affirmationen. Selbstverständlich kann man diese variieren und auch eigene Affirmationen ersinnen.
Auch wenn es banal klingt und allbekannt sein mag, gegen Stress kann ein kurzer Spaziergang im Park oder Wald fast immer helfen. Wichtig ist dabei, die Aufmerksamkeit möglichst ganz den Sinneseindrücke zuzuwenden: den Gerüchen, den Geräuschen oder der Lichtstimmung.
Zur Stressbewältigung über den eigenen Leib empfiehlt sich die Progressive Muskelrelaxation (PMR). Bei dieser gut dokumentierten Entspannungsmethode werden in einer vorgegebenen Reihenfolge einzelne Muskelgruppen einige Sekunden lang angespannt und wieder gelöst. Ist man mit allen Muskelgruppen durch, bleibt man noch einige Zeit liegen oder sitzen.
Um am Ende noch aus dem Erfahrungsschatz der Anthroposophischen Medizin zu schöpfen, schliessen wir diesen Artikel mit dem Hinweis auf stressreduzierende und beruhige Meditationen. Am besten lernt man sie auswendig, um sie immer und überall parat zu haben für ein stilles oder vernehmliches langsames Rezitieren. Hier eine Meditation von Rudolf Steiner (GA 268, 1999, S. 179); sie lenkt das Augenmerk auf Stressbekämpfung durch innere Ruhe:
Ich trage Ruhe in mir,
Ich trage in mir selbst
Die Kräfte, die mich stärken.
Ich will mich erfüllen
Mit dieser Kräfte Wärme,
Ich will mich durchdringen
Mit meines Willens Macht.
Und fühlen will ich
Wie Ruhe sich ergiesst
Durch all mein Sein,
Wenn ich mich stärke,
Die Ruhe als Kraft
In mir zu finden
Durch meines Strebens Macht.
Sprechstunde Lebensstilmedizin an der Klinik Arlesheim
Ganzheitliche, interdisziplinäre Lifestyleberatung und -begleitung zu den Schwerpunkten: Gesunde Ernährung, Regelmäßige Bewegung, Erholsamer Schlaf, Positive Beziehungen, Stressmanagement und Vermeidung schädlicher Substanzen
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Dieser Blogartikel entstand im Rahmen des Vortrags «Stressbewältigung im Alltag – Ganzheitliche Ansätze für mentale Gesundheit» des Gesundheitsforums vom 22.10.2025.
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